ORANGE LEBEN – Glaube zuhause leben
Es war wohl etwa um das Jahr 2005, als ein Thema auftauchte, welches 20 Jahre früher, als ich meine Arbeit unter Kindern begann, schon einmal diskutiert wurde: Wer ist zuständig für die geistliche Erziehung der Kinder? Ist es die Kirche oder sind es die Eltern? Es war, als ob diese Thematik nun reif sein würde.
Es war Mark Holmen, ein Pastor aus den USA, der uns 2007 – gerade zur Zeit, als das erste iPhone auf den Markt kam – unter dem Thema «Glaube zuhause leben» an einer Konferenz in Winterthur aus dem Busch klopfte. Er rüttelte uns auf mit der Aussage: «In den vergangen 30 Jahren ist es dem Teufel gelungen, den innersten Kern einer Glaubensgemeinschaft aufzubrechen – die Familie! Da müssen wir etwas unternehmen.» Holmens Lösungsvorschlag war «Rituale neu entdecken». Wir müssen die Eltern ermutigen und unterstützen, Rituale mit den Kindern neu einzuüben – Tischgebet, Bibellese, Abendrituale, Gebet unterwegs usw. Holmen schlug vor, dass man die Eltern am Sonntag parallel zum Gottesdienst zu einer eigenen Runde einlädt und ihnen zeigt, was für Rituale neu entdeckt werden können, wann sie im Alltag Platz hätten und wie man sie gestalten könnte. Wir haben diese Idee der Elternimpulse für unsere Kirche angepasst, sie eingeführt und sie finden seither regelmässig statt – bis heute. Im Verlaufe der folgenden Jahre wurde klar, dass man eigentlich nicht bei den Ritualen stehen bleiben kann, man muss grösser denken. Da kam uns Reggie Joiner aus Atlanta zu Hilfe mit seiner Idee von ORANGE LEBEN. Ausgehend von der Bibelstelle aus 5. Mose 6 hielt er uns einen Spiegel mit einem Bild hin, das nicht nur in Amerika, sondern auch bei uns gilt, sofern wir bereit sind, es zu sehen: «Familie und Kirche sollen sich gemeinsam investieren für die nächste Generation!»
Ist es nicht so: Christliche Eltern wünschen sich, dass ihre Kinder Jesus einmal persönlich kennen lernen, sie sich entschliessen diesem Herrn nachzufolgen und im Glauben auch Verantwortung übernehmen. Eine Kirche wünscht sich, dass ihre Kinder Jesus einmal persönlich kennen lernen, sie sich entschliessen diesem Herrn nachzufolgen und im persönlichen Glauben sowie der Kirche auch Verantwortung übernehmen. Das heisst: Der gleiche Wunsch, der gleiche Inhalt und zur gleichen Zeit – aber man spricht darüber nicht miteinander. Das kann doch nicht sein.
Zu jener Zeit wurde ebenfalls bewusst, dass in der Gesamtkirchenarbeit unter Kindern und Jugendlichen oft in Säulen gedacht wurde. Jede Gruppe innerhalb der Gemeinde gestaltete ein attraktives Programm, dachte dabei aber nur an sich. Es kümmerte kaum jemanden, was in den anderen Altersstufen angeboten wurde. Dennoch war man erstaunt, wenn Kinder/Jugendlichen den Sprung von der einen Säule zur anderen nicht geschafft haben. Der Schlüssel, den manche Kirchen an diesem Punkt gefunden haben: «Wir müssen einen Paradigmenwechsel vollziehen – Schritte statt Programme! Wir sollten nicht nur gute Programme anbieten, sondern die jungen Menschen im Glauben begleiten.» Die je fünf Grundprinzipien und Familienwerte von ORANGE LEBEN haben bei der Umsetzung sehr geholfen.
Unsere Young Generation hat einen Gewinn, wenn:
- Wir den Mut haben gute Gedanken aus anderen Ländern zu adaptieren (Holmen/Joiner usw.)
- Wir Familie und Kirche gemeinsam denken – ORANGE LEBEN
- Wir gemeinsam Schritte mit der jungen Generation gehen – wie?
- Wir nicht zulassen, dass diese Denkweise bei uns verblasst, sondern immer wieder aufgefrischt wird – vermutlich braucht eine Person den Auftrag, das in deiner Kirche immer wieder zu tun
Glaubensmap
In den Jahren zwischen 2010 und 2015 hat uns diese Denkweise stark beschäftigt. Wie kann denn dieses «Schritte statt Programme» ganz praktisch werden? In verschiedenen Arbeitsgruppen wurde über die Jahre gearbeitet. Es wurde klar: Wenn wir die junge Generation begleiten wollen, dann müssen wir wissen, wo sie in welchem Alter entwicklungsmässig stehen, was sie geistlich und geistig verstehen und daraus folgend die Frage, was für biblische Geschichten bzw. Werte wir mit ihnen im welchem Alter betrachten wollen. Es entstand eine kurze und hilfreiche Übersicht im Excel-Format mit dem Titel «Grundlagen der Glaubensentwicklung». Aber was geschieht mit einer solchen Liste in der Regel? Sie kommt in einen Ordner oder eine Ablage, auch wenn sie noch so gut ist. Ich bin der Leitung der Viva Kirche Schweiz noch immer sehr dankbar, dass sie sagte: «Das darf nicht sein, dieses Thema ist uns zu wichtig!» Das war die Geburtsstunde der Glaubensmap – übrigens der ursprüngliche Impuls kam wieder aus einer amerikanischen Gemeinde. Ich bin immer noch hochfasziniert von dieser Map.
Auf diesem Bild wird genau der Weg, den ein junger Mensch geht, aufgezeichnet. Weil jedes Leben individuell verläuft, gibt es auch verschiedenste Varianten. Es kommen Entwicklungsstufen aber auch Heilsgeschichte darauf vor. Man kann sogar die Alterszahlen gedanklich entfernen, dann wird diese Zeichnung zur ganz persönlichen Map: «Wo stehst du heute gerade auf der Map? Hängst du in der Wand, rennst du davon, schaust du irgendwo zu, geniessest du die Aussicht oder die Ruhe usw.?» Die Map stellt vor allem Fragen und regt an zum Gespräch oder Nachdenken – ganz persönlich aber auch in Familie und Kirche.
Sehr deutlich zum Ausdruck kommt, dass wir als Menschen auf einer Wanderung, auf einem Weg sind. Da taucht dann ein göttliches Prinzip auf, das uns mehr und mehr bewusst wurde: «Wir wachsen an der Seite anderer, andere wachsen an unserer Seite!» Schau in die Bibel, schau in die Kirche, schau auf dein ganz persönliches Leben. Immer sind wir mit Menschen unterwegs und lernen von ihnen, kopieren sie, imitieren sie, korrigieren sie usw.
Zurück zur Glaubensmap: Wer steht auf welcher Wegstrecke an der Seite unserer Kinder und Jugendlichen?
Die Glaubensmap stellt immer neu Fragen:
- Hast du den Mut eine «Excel-Tabelle» zum Bild weiterzuentwickeln, wenn es Menschen hilft
- Wo bist du persönlich auf der Map im Moment? Das kann sich beinahe täglich ändern
- Weisst du wer die Kids empfängt, wenn sie über die Brücke ins Teensalter kommen?
- An wessen Seite bist du gewachsen und wer wächst an deiner Seite?
Aktiv prägende Eltern
«Familie und Kirche gemeinsam für die nächste Generation» - Wenn wir dieses Farbenbild nochmals etwas anschauen: Eine orange Farbe entsteht nur wenn Gelb und Rot zusammen gemischt werden. Gelb allein kann nicht orange werden und rot allein kann auch nicht orange werden. Gemeinsam für die nächste Generation heisst eben: Familie und Gemeinde gemeinsam. Da muss ich gestehen, haben wir Fehler gemacht und mussten auch dazu stehen. Wo etwas gewagt und ausprobiert wird, kommt das immer wieder vor.
Wir als Vertreter der Kirche haben versucht, den Eltern Ratschläge zu geben, worauf sie achten sollten und wie wir ihnen helfen könnten. Gelb meinte, es könnte Rot sagen, was zu tun sei. Es geschah aus ehrlicher Überzeugung, aber es war ein falscher Ansatz. Erziehung und erst recht Glaubenserziehung ist ein sensibler, ja intimer Prozess und die allermeisten Eltern lassen sich nicht gerne in die Karten schauen. Es mag sogar sein, dass manche Eltern denken: «Das mit der Glaubenserziehung funktioniert bei uns nicht so recht und das ist bei anderen Eltern sicher anders!» Es ist eine Art Scham, die da aufkeimen kann. Nein! Fragt mal andere Eltern und ihr werdet merken, dass sie auch Fragen haben.
Ja es stimmt, dass die Eltern viel mehr Einfluss auf die Kinder haben als die Kirche. Man könnte diese Tatsache auch anders denken: Wir Menschen sind Imitationslerner. Wir beobachten und kopieren, wir korrigieren und probieren – ein Leben lang. Ich erinnere mich an den Titel eines Clips über einen Vater und seinem Sohn: «I’m watching you?» - «Papa, ich beobachte dich». Dieses Beobachten gilt für alle Personen, die mit der nächsten Generation zu tun haben: Eltern, Grosseltern aber auch Gemeindeglieder egal welchen Alters.
Mein Wunsch an die Eltern: «Werdet aktiv, sagt, was ihr braucht, lasst die Gemeinde wissen, was euch helfen könnte. Diese Verantwortung kann euch niemand abnehmen aber wir können euch unterstützen. Es sind in jüngster Zeit zudem auch geniale Hilfsmittel erschienen wie zum Beispiel die Phasenkarten.
Apropos Fehler machen und vergeben: Denkst du auch, du hättest manches verpasst? Da hat mir Mark Holmen sehr geholfen. Er sagte: «Beginne jetzt nicht dir Vorwürfe zu machen, was du alles ausgelassen oder falsch gemacht hast. Sowas gefällt nur dem Teufel. Tue Busse und beginne morgen mit dem ersten nächsten Schritt».
Paulus fordert uns in 1.Korinther 4,16 zusätzlich heraus: «Darum bitte ich euch: Nehmt mich zum Vorbild! (wie ich Christus zum Vorbild nehme)». Für mich hatte dieser Text immer einen etwas arroganten Beigeschmack, bis ich entdeckte, was Paulus wirklich meint: «Für mich ist das Leben Christus, d.h. an ihm macht sich der Sinn meines Lebens fest. Meine Sehnsucht ist, bei Christus zu sein – und doch habe ich einen Auftrag, nämlich Christus zu verkündigen. (Phil 1,21-25) -- darin nehmt mich zum Vorbild» (Prof. Dr. Detlef Häußer). Leben wir doch als Eltern und als Kirchenmitglieder dieses christuszentrierte, authentische und ehrliche Leben im Alltag, denn etwas Besseres kann unseren Kindern gar nicht passieren – weil sie eh beobachten und imitieren!
Ich wünschte mir so sehr für die Zukunft der Young Generation:
- Eltern, die aktiv prägen wollen und den Lead übernehmen
- Gemeindeglieder und Leiter/-innen, die wissen, wie sie unterstützen können – Kontakt suchen
- Menschen aller Generationen, die sich bewusst sind: «Ich lebe von der Vergebung und kann auch Schritte zurückgehen, um dann Neues zu wagen»
- Kinder und Jugendliche, die die Fackel übernehmen und in die Zukunft tragen
Hans Forrer
ehem. Bereiche Kinder und ORANGE LEBEN