«Aber du hast doch gesagt» – «Das habe ich anders verstanden» – «Nein, davon wusste ich nichts» – «Warum steht das so im Protokoll? Das haben wir anders abgemacht» – Sicher kennt ihr solche Sätze zur Genüge aus eurem Teamleben. Ihr trefft euch kurz vor dem Anlass, um noch die letzten Details zu klären, und dann dieser Satz, der dich innerlich erstarren lässt: «Haben wir abgemacht, dass ich das bringen soll?»
Missverständnisse zu umgehen, ist nicht einfach, aber es geht, nämlich mit einem simplen 1-Schritte-Programm. Gerne präsentiere ich euch diesen Schritt: 1. Verstehen. Fertig.
Aber wie geht verstehen? Das Wort selber scheint nicht viel herzugeben. Es hat irgendetwas mit ver und stehen zu tun. Geht also verstehen nur im Stehen? Wohl kaum. Was uns weiter hilft ist, dass das Wort mit Verstand zusammenhängt. Unser Verstand ist geschaffen, um zu verstehen. Mehr noch, wir haben dadurch ein tiefes inneres Bedürfnis, die Dinge um uns herum wahrzunehmen. Wir wollen verstehen, was rund um uns geschieht, wollen wissen, was unser Gegenüber sagt und es einordnen. Das Problem dabei ist, dass wir zu wenig beachten, woher wir unsere Informationen zum Verstehen beziehen. Die beste Informationsquelle für das, was unser Gegenüber sagt, wäre unser Gegenüber. Was wir aber stattdessen machen, ist unsere eigene Interpretation als Informationsquelle zu nutzen. Dies führt dazu, dass wir die Aussagen des Gegenübers sofort durch den Interpretations-Filter lassen und so die eigentliche Botschaft gar nicht mehr bei uns ankommt. Schwups, ein Missverständnis ist entstanden.
Natürlich liegt es nicht nur an uns, dass Verstehen möglich ist, sondern auch der Sender hat seine Verantwortung. Gott beispielsweise tat vieles, dass er verstanden wird. Er liess die Bibel schreiben, immerhin doch 66 Bücher und er sandte seinen Sohn, damit die Menschen live die Botschaft von Gott erleben konnten. Wir können also sehr dankbar sein, dass Gott die Verantwortung zum Verstehen nicht allein in unsere Hände gab, sondern seinen Teil beitrug.
Gleichzeitig zeigt die Bibel, dass auch der Empfänger gewissenhaft arbeiten muss. Was, wenn Lukas sein Evangelium aufgrund von Eindrücken und Interpretationen geschrieben hätte? Wir wären schlecht bedient. Er hätte zwar zugehört, aber durch seinen Filter interpretiert und niedergeschrieben. Die Arbeit von Lukas beruht aber zum Glück auf Verstehen: «Darum hielt auch ich es für richtig, nachdem ich allem bis zu den Anfängen sorgfältig nachgegangen bin, diese Ereignisse für dich, hochverehrter Theophilus, in geordneter Reihenfolge niederzuschreiben, damit du erkennst, wie zuverlässig all das ist, worin du unterrichtet worden bist» (Lukas 1,3-4). Lukas hat solange geforscht, bis er verstanden hat, was die Fakten sind. Danke Lukas!
Also, wir wissen nun, das verstehen mit Verstand und gewissenhaftem Arbeit zu tun hat. Aber wie konkret soll das aussehen? Gewissenhaft erinnert zu sehr an eine akribisch geführte Excel-Tabelle. Zum Glück gibt es viele Synonyme für verstehen, und zwei davon sind so bildhaft, dass sie uns praktisch vor Augen führen, wie verstehen funktioniert.
Begreifen
Wer sich einmal im Dunkeln orientieren musste, weiss, wovon hier die Rede ist: Mit beiden Händen nach vorne tastend und vorsichtigen Schritten die Umgebung erkunden. Da! Auf einmal erfassen unsere Hände einen Gegenstand. Aber was ist es? Wir betasten, umfassen und ergreifen es so lange, bis wir begreifen, was es ist. Und nun, wenn wir durch unsere Hände und den Tastsinn wissen, um was es sich bei diesem Objekt handelt, können wir beurteilen, wo wir sind. Das ist die Voraussetzung, dass wir uns orientieren können. Unsere Augen helfen uns in diesem Moment nicht. Verstehen geht nur, wenn wir uns an die Gegenstände heranwagen, herantasten und so lange umgreifen, bis wir sicher sind, erkannt zu haben, was vor uns liegt. Begreifen kannst du nicht aus der Distanz, gemütlich im Sessel sitzend. Begreifen kannst du nur, wenn du praktisch mit anpackst.
Es heisst im übertragenen Sinn also, ich verlasse mich nicht auf das, was ich sehe (und interpretiere), sondern ich will es wirklich wissen. Ich taste mich vorwärts zu dem, was mein Gegenüber mir sagen will. Wie im Dunkeln weiss ich, dass ich so lange nichts weiss, bis ich mich zu dem vorgetastet habe, was gesagt wurde. Haltet euch zurück mit vorschnellen Interpretationen. Stellt euch auf den Standpunkt, dass ihr nicht so viel wisst, wie ihr zu glauben meint. Hört zu und begreift innerlich von allen Seiten das Gesagte, bis ihr wisst, was euer Gegenüber sagen will. Dazu gehört auch, dass du nachfragst, falls dir etwas nicht klar ist.
Wahrnehmen
Wahrnehmen will die Wahrheit finden. Es geht hierbei nicht um die Wahrheit, die über allem steht, sondern um die Wahrheit, die in den Worten des Gegenübers liegt. Es geht darum, die Worte nicht zu verdrehen, sondern sie zu transportieren, dass sie ohne Verfälschung zu mir gelangen.
Wahrnehmen ist ein aktiver Prozess. Anders wäre dies beim Begriff für wahr halten. Im Bilde gesprochen hält man da etwas in den Händen und beurteilt, ob man es für wahr hält oder nicht. Das braucht keinerlei Bewegung. Wahrnehmen steht im Gegensatz dazu. Ich gehe hin und nehme es mir (natürlich ohne zu stehlen).
Wahrnehmen heisst im übertragenen Sinn, dass ich nicht still sitzen bleibe, bis mein Gegenüber mich soweit überzeugt hat, dass ich verstanden habe. Nein, ich bemühe mich selber darum, die Wahrheit zu finden. Ich nehme mir die Wahrheit. Ich erwarte nicht, dass mir mein Gegenüber alles serviert, mich überzeugt, sondern ich werde selber aktiv. Ich will die Wahrheit erfassen, die in den Worten meines Teammitglieds liegen. Wie schon gesagt, trägt auch der Sender seine Verantwortung, sich möglichst klar auszudrücken. Ja ausdrücken: Man denke an eine Zitrone, die ausgedrückt wird. Sich ausdrücken heisst also, Informationen gut weitergeben, bis nichts mehr an wert- und sinnvollen Informationen zurückbehalten wird. Wahrnehmen bringt aber auf den Punkt, dass auch der Empfänger seine Verantwortung hat.
Wie genau geht nun verstehen?
Verstehen geschieht in erster Linie mal da, wo sowohl Sender als auch Empfänger das wirklich wollen. Wenn wir zuhören gehört dazu, dass wir nicht vorschnell interpretieren und die Worte unseres Gegenübers mehr gewichten als unsere Gedanken dazu. Beides heisst nicht, dass zwischen den Zeilen lesen dürfen verboten ist (nonverbale Botschaften sind immer Interpretation) oder dass wir unsere bisherigen Erfahrungen nicht mit einfliessen lassen dürfen. Aber verstehen setzt voraus, dass die Worte meines Gegenübers solange mehr Gewicht haben als meine Interpretation, bis ich sicher bin, dass meine Interpretation dem gerecht wird, was mein Gegenüber ausdrücken wollte. Wer Missverständnisse vermeiden will, kann nicht in Passivität verharren.
Verstehen bedeutet also Arbeit. Aber die lohnt sich, weil Missverständnisse in jedem Fall noch mehr Arbeit bedeuten.
Josias Burgherr
Leiter Young Generation
Josias ist verheiratet, lebt im Aargau und hat vier Kinder. Er fördert und unterstützt als Leiter Young Generation die Bereichsleiter Kinder-, Teenie- und Jugend. Sein Herz brennt dafür, dass Kinder und Jugendliche die Liebe Gottes erleben dürfen. Neben Young Generation schreibt und gestaltet er als Leiter Kommunikatin für die Viva Kirche Schweiz.