Besonders eindrücklich fand ich den Beitrag von Pastorin Lia über den „Goldstandard der Jüngerschaft“. Sie erklärte, dass Jüngerschaft kein blosses Weitergeben von Wissen oder das Befolgen einer Hierarchie sei. Stattdessen ist es ein Beziehungsprozess, der auf Liebe und Wahrheit, auf Einladung und Herausforderung basiert. Dabei steht die Einladung immer am Anfang: „Wenn ich deine Zuneigung spüren kann, werde ich auch deine Korrektur annehmen.“
Lob, so erklärte sie, sei nicht dasselbe wie Ermutigung. Während Lob häufig an Leistung oder Erfolg gebunden ist, bedeutet Ermutigung, an jemanden zu glauben, noch bevor er sich bewährt hat. Dieses Prinzip hat mich an meine eigene Teenagerzeit erinnert.
Eine persönliche Erfahrung
Mit 15 Jahren wurde ich als Gitarrist in das Musikteam meiner Heimatgemeinde eingeladen. Bis dahin hatte ich kaum Erfahrung – außer einem kurzen Auftritt bei einem Krippenspiel – und war noch weit davon entfernt, mich bewährt zu haben. Doch die Leiterin des Musik-Teams sah etwas in mir. Sie glaubte an mein Potenzial und gab mir die Chance, während des Gottesdienstes Gitarre zu spielen.
Natürlich lief nicht alles glatt. Ich musste lernen, zuverlässig zu den Proben zu erscheinen und mich besser vorzubereiten. Fehler blieben nicht aus. Doch die Ermutigung, die ich von meinen Leitern erhielt, und ihr Glaube an mich, auch wenn ich scheiterte, prägten mich zutiefst. Obwohl es keine grosse Gemeinde und ich der einzige Junge in meinem Alter war, wurde Kirche für mich zu einem Ort, an dem ich gesehen und wertgeschätzt wurde – nicht wegen meiner Leistung, sondern weil man an mich geglaubt hat.
Das Beispiel von Nicholas
Besonders eindrücklich fand ich an der Konferenz daher die Geschichte von Nicholas, einem heute 29-jährigen Leiter in der HOGC. Pastorin Lia und Pastor How haben über viele Jahre hinweg in ihn investiert. Als 13-Jähriger begann er, Kleingruppen zu leiten, und mit 14 Jahren hielt er seine erste Predigt. Er half im Team der Lichttechnik mit, welches er dann mit 16 Jahren leiten durfte. Doch Jüngerschaft beschränkt sich in der HOGC nicht auf Aufgaben oder Dienste in der Kirche.
Nicholas kam als nichtgläubiger Jugendlicher mit einem chaotischen Leben ohne Perspektive in die Gemeinde. Pastor How lehrte ihn, andere Menschen respektvoll zu behandeln, und zeigte ihm, wie er seine grösste Schwäche – seine Unsicherheit – in eine Stärke umwandeln konnte. Er gab ihm eine Vision davon, wie er anderen Männern helfen könnte, ihre eigene Unsicherheit zu überwinden.
Seine Glaubensreise war geprägt von Anerkennung und Korrektur. Pastorin Lia ermutigte ihn in seiner Nervosität bei seiner ersten grossen Predigt: „Du hast eine Botschaft von Gott. Geh und gib sie weiter.“ Selbst bei Fehlern stand sie ihm zur Seite: „Es ist okay, falsch zu liegen. Gib es zu, nimm die Haltung der Korrektur an, und du wirst wachsen. Wir lieben dich.“
Heute leitet Nicholas über 300 Menschen und investiert nun selbst in die nächste Generation, indem er an andere glaubt und ihnen Verantwortung überträgt.
Jüngerschaft – ein Beziehungsprozess
Jüngerschaft, wie sie in der HOGC gelebt wird, geschieht nicht in Unterrichtsformaten. Sie entsteht, indem man Zeit mit jungen Menschen verbringt und in ihr Leben investiert. Pastor How und Pastorin Lia haben ihre Büros bewusst in der Kirche, wo täglich Begegnungen mit Jugendlichen stattfinden. Sie teilen Mahlzeiten, treiben Sport zusammen, nehmen die Jugendlichen mit auf Auslandseinsätze und bauen durch gelebte Gemeinschaft Vertrauen auf.
Lia machte uns am Beispiel von Nicholas deutlich, wie wichtig es ist, Menschen zu ermutigen, bevor sie Erfolg haben. Nicht die Begabten, die bereits glänzen, brauchen unser Lob. Es sind diejenigen, die noch nicht bewiesen haben, was in ihnen steckt, die unsere Zuwendung und unseren Glauben an sie am meisten benötigen.
Meine Anwendung
Nach der Konferenz dachte ich an einen Jugendlichen aus unserer Kirche. Er hatte mir einmal erzählt, dass er E-Gitarre spielt, und ich hatte die Begeisterung in seinen Augen gesehen. Obwohl ich ihn noch nie spielen gehört hatte, lud ich ihn ein, beim nächsten Worship-Einsatz mitzuwirken. Natürlich lief nicht alles perfekt, aber ich sah, wie stolz er war, Teil des Teams zu sein. Diese Erfahrung hat auch mich ermutigt, junge Menschen gezielt einzubeziehen und an sie zu glauben.
Eine Frage an dich
Wer aus deiner Gemeinde braucht eine Einladung, eine Ermutigung? Wo sind die Unerfahrenen, die deinen Glauben an sie brauchen, um gross zu werden?
Lass uns bewusst junge Menschen fördern, sie befähigen, ohne sie zu überfordern, und ihnen den Raum geben, zu wachsen. Unsere Liebe und Ermutigung sollten in unseren Augen leuchten – damit Kirche ein Ort wird, an dem sie sich sicher fühlen, sich verletzlich machen und dennoch wachsen können.
Tobias Bendig
Bereich Kirche+Familie