Sie stellen die These auf, dass die sogenannte «Betroffenheitsethik» in den Bereichen Ehe und Sexualität am meisten aufweicht, wenn Kinder oder nahestehende Personen einen anderen Lebensweg einschlagen und sich von der jüdisch-christlichen Wertehaltung distanzieren.
Die Autorinnen geben zu Beginn des Buches Einblick in ihre Wertehaltung und wie ihr Verständnis über Sexualethik ist. Dies ist sehr hilfreich, um es mit seinen eigenen sexualethischen Überzeugungen zu vergleichen, dadurch regt es die persönliche Reflexion an und hilft einem, sprachfähiger in dieser Thematik zu werden.
Verschiedenste Familien geben in diesem Buch tiefen Einblick, wie sie mit der Situation des neuen Lebenswegs ihres Kindes umgehen. Sie teilen ihre Gedanken, Herausforderungen und ringen immer wieder mit Gott, wie sie mit dem Entscheid ihres Kindes umgehen sollen.
Nebst den Eltern, kommen auch ihre Kinder zu Wort und erzählen, wie sie die Situation erlebt haben und wie sie rückblickend die Handhabung der Eltern erlebt haben. Das war äusserst spannend, weil einige der Kinder im Nachhinein dankbar waren, dass die Eltern ihre Wertehaltungen nicht über Bord geworfen haben. Was ich bei allen Interviews klar rausgehört habe: Die Eltern wollen in Beziehung mit ihrem Kind bleiben, jedoch wollen sie ihre ethischen Überzeugungen nicht über Bord werfen und ringen mit Gott und auch teilweise innerhalb der Ehe, wie sie diese Gratwanderung meistern sollen.
Besonders das Interview, bei dem sich der Sohn entscheidet, ab nun als Transfrau zu leben, hat mich emotional sehr mitgenommen. Man spürt die Verzweiflung der Eltern, wie sie diese Entscheidung ihres Kindes aushalten müssen und am Ringen sind, wie sie die Beziehung zukünftig gestalten wollen. So müssen sie sich mit folgenden Fragen auseinandersetzen: Wollen wir den neuen Vornamen des Kindes nennen? Welche Pronomen verwenden wir? Wie gehen wir damit um, dass unser Kind, nun Frauenkleider trägt? Diese und viele anderen Fragen müssen sie sich als Eltern immer wieder stellen. Und doch hört man immer wieder heraus, dass sie ihren Sohn lieben. Wie sich diese Geschichte weiterentwickelt, ist offen und dies fordert mich als Leserin und Leser heraus, die Spannung auszuhalten. Diese Ungewissheit wird für Direktbeteiligte um das x-fache höher sein und löst sicherlich viel Schweres und auch eine Ohnmacht aus. Das Gebet wird in diesem Buch oft als zentrale Hilfestellung beschrieben. Es hilft, mit der Situation klarzukommen, neue Kraft zu schöpfen oder sich damit zu versöhnen. Es spendet für viele Eltern Trost und Hoffnung.
Was alle Geschichten gemeinsam haben, ist nebst der Herausforderung mit dem eignen Kind, die grosse Scham, sich in seinem christlichen Umfeld zu offenbaren. Ich finde es sehr hilfreich, dass die betroffenen Eltern erzählen, was ihnen in diesen herausfordernden Situationen wirklich geholfen hat. Unterstützende Freunde und Gebet! So oft werden Ratschläge und Vorwürfe erteilt, die nicht hilfreich sind. Ich denke, dass hier Kirche eine echte Unterstützung anbieten kann und nicht auch noch mit dem Moralfinger draufzeigen sollte.
Dieses Buch habe ich in kürzester Zeit durchgelesen, weil es einen selbst betroffen macht, aber auch Lösungsansätze anbietet, wie man Betroffene unterstützen kann. Ich würde dieses Buch nebst betroffenen Familien, auch jungen Familien sehr empfehlen, weil die Erzähler auch rückblickend einem mitgeben, was sie früher anders gemacht hätten.
Dieses Buch richtet sich aus meiner Sicht eher an Eltern aus dem (frei)kirchlichem Umfeld, die sich mit der christlichen Werthaltungen auseinandergesetzt haben. Für Menschen, die neu im Glauben an Jesus sind und noch kein gefestigtes christliches Weltbild haben, wäre ich eher zurückhaltend dieses Buch zu empfehlen, da die Gefahr einer Gesetzlichkeit bestehen könnte. Die Wertehaltung der Autorinnen deckt sich mit dem Wunsch der Eltern, dass ihre Kinder wieder zum «Glauben zurückkehren» überein. Was in diesem Buch nicht thematisiert wird ist, was passiert, wenn Eltern ihre Wertehaltung dem Kind anpassen. Was hat dies für einen Einfluss auf das Glaubensleben der Eltern und auf ihr christliches Umfeld? Dies wäre sicherlich ein spannendes Nachfolgebuch und zeigt auf, dass noch viele offene Fragen in dieser Thematik bestehen.
Sonst bin ich absolut begeistert von diesem Buch, weil es einem schambehafteten Thema, dass viel Leid und Ungewissheit erzeugt, Licht ins Dunkel bringen kann. Meine Hochachtung gilt den Eltern, die sich hier zur Verfügung stellen, einen intimen Einblick in ihre Familie geben und damit eine echte Hilfe für andere Familien sein können.
Nadine Hartmann
Bereich Teenie